1-Klick-Barrierefreiheit: Accessibility-Overlays sind keine Lösung
Über sogenannte Accessibility-Overlays – also Tools, die mit wenigen Zeilen JavaScript eine barrierefreie Website vorgaukeln – wurde bereits viel diskutiert. Was jedoch oft unter dem Radar bleibt, sind die sogenannten „1-Klick-Lösungen“ für Barrierefreiheit. Diese vermeiden den Begriff „Overlay“, arbeiten aber nach demselben Prinzip – und bergen dieselben Probleme. Sie versprechen viel, liefern wenig und können für Unternehmen sogar rechtliche Risiken darstellen. Gerade im Kontext der Barrierefreiheit nach BITV und BFSG kann der Einsatz solcher Tools gefährlich werden.
Was sind Accessibility-Overlays – und warum ist eine 1-Klick-Lösung genau das?
Accessibility-Overlays sind Tools, die durch das Einfügen von JavaScript die Barrierefreiheit einer Website angeblich automatisch verbessern. Die Idee: Schriftgröße, Kontrast oder Vorlesefunktion lassen sich mit einem Klick aktivieren. Die Anbieter nennen das oft „1-Klick-Lösung“, „Sofortlösung“ oder „Barrierefrei mit einem Klick“. Faktisch handelt es sich dabei um klassische Accessibility-Overlays oder Overlay-Tools – und damit um ein Placebo für echte Barrierefreiheit.
Die Illusion der schnellen Lösung: 8 Gründe, warum Accessibility-Overlays scheitern
1. Keine echte Barrierefreiheit
Overlays verändern nur die Oberfläche – nicht den zugrundeliegenden Code. Screenreader-Nutzende und Menschen, die auf andere assistive Technologien angewiesen sind, profitieren davon kaum oder gar nicht. Gleiches gilt für Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Die zugrundeliegenden Probleme im HTML, in der Struktur oder Navigation bleiben immer bestehen.
2. Verstoß gegen BITV & BFSG
Die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) fordern technische, gestalterische und inhaltliche Barrierefreiheit. Overlays erfüllen keine dieser Anforderungen vollumfänglich. Insbesondere im Rahmen des BFSG drohen ab Juni 2025 empfindliche Strafen, wenn Websites nicht barrierefrei gestaltet sind – auch bei vermeintlichen Bemühungen. Die Überwachungsstellen des Bundes haben dazu klar Stellung bezogen.
3. Rechtliche Risiken europaweit
Nicht nur in Deutschland sind die Strafen real: in anderen europäischen Ländern wie Schweden oder Spanien könnten die Bußgelder möglicherweise noch höher ausfallen. Unternehmen, die auf Overlay-Tools vertrauen, wiegen sich also in falscher Sicherheit und laufen Gefahr, gegen EU-weite Richtlinien bzw. die Vorgaben des European Accessibility Act (EAA) zu verstoßen. Manche Anbieter werben mit der BITV-Konformität ihres Accessibility-Overlays. Damit ist aber nur das Accessibility-Overlay selbst gemeint, nicht die Barrierefreiheit der Website, auf der das Tool eingesetzt wird
4. Kompatibilitätsprobleme mit Hilfsmitteln
Accessibility-Overlays sind oft nicht mit Hilfsmitteln wie Screenreadern oder Tastaturnavigation kompatibel. Viele Tools fügen eigene Interface-Elemente ein, die nicht korrekt zugänglich sind oder sogar systemeigene Bedienungshilfen stören. Eine 1-Klick-Lösung für Barrierefreiheit kann dadurch die Nutzung für genau jene Menschen erschweren, denen sie helfen soll.
5. Barrieren werden übermalt, nicht gelöst
Ein Accessibility-Overlay kann keine semantisch korrekte HTML-Struktur erzeugen, keine fehlenden Alt-Texte hinzufügen oder schlechte Kontraste in eingebetteten Bildern verbessern. Die eigentliche Barriere bleibt bestehen – sie wird lediglich maskiert. Natürlich liegt die Hoffnung auf KI und alle Anbieter schüren diese Hoffnung. Aber Fakt ist, es funktioniert nicht.
6. Zugänglichkeit ≠ Personalisierbarkeit
Anpassbare Schriftgrößen, Kontraste oder ein Lesemodus sind hilfreich, führen aber nicht zu zur gesetzlich geforderten Barrierefreiheit im Sinne von BITV und BFSG. Es reicht nicht, Nutzenden die Kontrolle zu geben, wenn die Seite selbst nicht barrierefrei ist. Echte Accessibility entsteht im Code und im Inhalt, nicht im Overlay. Die Idee, dass Nutzende auf jeder Website erstmal nach einem Accessibility-Overlay suchen wollen, dort dann Einstellungen vornehmen, um den Inhalt ggf. besser nutzen zu können, geht vollkommen an der Lebensrealität von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungsarten vorbei.
7. Gefahr der Selbstzufriedenheit
Ein implementiertes Overlay suggeriert: „Wir haben etwas für Barrierefreiheit getan.“ Doch es verhindert oft die eigentliche Lösung: den systematischen, strukturellen Umbau zur barrierefreien Website. Dadurch wird das Thema verschleppt statt gelöst. Für das Thema Barrierefreiheit sind Menschen unterschiedlicher Gewerke verantwortlich. Die Designabteilung muss mit der Online-Redaktion und der Programmierung Hand in Hand arbeiten. Dafür muss Wissen aufgebaut werden, damit auch interaktive Diagramme, Videos und Podcasts oder auch PDF-Dokumente barrierefrei bereitgestellt werden können. Auch die Beschaffungsabteilung muss in den Prozess involviert sein, damit Erweiterungen und neue Services von vorneherein barrierefrei eingekauft werden können.
8. Nicht-konforme Erklärung zur Barrierefreiheit
Laut BITV und BFSG ist eine barrierefreie Website verpflichtet, eine Erklärung zur Barrierefreiheit zu veröffentlichen – einschließlich einer Selbsteinschätzung. Wer dabei ein Overlay als Hauptmaßnahme angibt, riskiert falsche Angaben. Auch das kann rechtlich problematisch werden. Da die Überwachungsstellen zu Accessibility-Overlays ganz klar Stellung bezogen haben, sollten Unternehmen im Rahmen des BFSG tunlichst nicht auf die positive Wirkung von Accessibility-Overlays hinweisen. Aus meiner Sicht ist das eine Einladung für Abmahn-Anwälte.
Fazit: Barrierefreiheit braucht mehr als eine JavaScript-Zeile
Was als schnelle, kostengünstige Lösung angepriesen wird, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als unzureichend – und im schlimmsten Fall als gefährlich. Unternehmen, die langfristig gesetzeskonform und inklusiv agieren wollen, kommen um eine echte, tiefgreifende Umsetzung von Barrierefreiheit nicht herum. Was stattdessen hilft:
- Professionelle BITV- und BFSG-Audits
- Barrierefreie Entwicklung von Grund auf
- Schulung der Teams in allen Gewerken
- Regelmäßige Nutzertests mit Menschen mit Behinderungen
- Entwicklung eines eigenen Accessibility Maturity Models
- Implementierung von neuen Workflows