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Accessibility, Usability und UX-Design im Zusammenspiel

In vielen Texten über barrierefreies Design findet man die Aussage, dass Barrierefreiheit automatisch die Benutzererfahrung (UX und Usability) für alle Menschen verbessern würde. Im Detail ist das korrekt, denn es gibt Schnittmengen zwischen Accessibility-Anforderungen und Usability-Richtlinien. Trotzdem ist die vereinfachte Botschaft falsch. Vor allem, wenn man UX-Design mit in den Topf wirft.

Usability wird im Deutschen im Allgemeinen mit Gebrauchstauglichkeit übersetzt. Sprich: wie gut sind digitale Produkte, wie z.B. Websites, Online-Shops oder mobile Apps von Menschen ohne Behinderung unter bestimmten Bedingungen benutzbar? Die DIN EN ISO 9241 beschreibt diesen Ansatz wie folgt: “Usability ist das Ausmaß, in dem ein Produkt durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.

In diesem Zusammenhang findet man auch häufig den Begriff User Experience oder UX-Design. Oft wir Usability auch mit User Experience gleichgesetzt. User Experience (kurz UX oder UX-Design) lässt sich mit Nutzungserlebnis oder Nutzungserfahrung übersetzten. Auch dazu gibt es in der DIN ISO 9241-210 eine Definition: „Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder der erwarteten Benutzung eines Produkts, eines Systems oder einer Dienstleistung resultieren. (...) Dies umfasst alle Emotionen, Vorstellungen, Vorlieben, Wahrnehmungen, physiologischen und psychologischen Reaktionen, Verhaltensweisen und Leistungen, die sich vor, während und nach der Nutzung ergeben.

Man kann an diesen beiden Definitionen gut erkennen, dass das Ziel von UX-Design weiter reicht als das der Usability. Usability beschäftigt sich insbesondere mit grafischen Oberflächen. UX-Design hat das Ziel für Benutzerinnen und Benutzer ein emotionales und vor allem positives Gesamterlebnis zu erreichen. Wie gesagt, zwischen Accessibility-Anforderungen und Usability-Richtlinien gibt es gewisse Schnittmengen, aber beim beim UX-Design wird es in diesem Zusammenhang schon eng. Der Grund ist, dass die für Barrierefreiheit relevanten WCAG-Richtlinien nur Anforderungen enthalten, die Menschen mit einer Behinderung betreffen. In der erläuternden Einleitung der WCAG steht: “There are many general usability guidelines that make content more usable by all people, including those with disabilities. However, in WCAG 2.0, we only include those guidelines that address problems particular to people with disabilities. This includes issues that block access or interfere with access to the Web more severely for people with disabilities.”

Usability, UX-Design und digitale Barrierefreiheit sind trotzdem kein Widerspruch – sie ergänzen sich und können sich gegenseitig verstärken. Nur bedeutet Barrierefreiheit eben nicht automatisch Gebrauchstauglichkeit und Barrierefreiheit setzt auch nicht im Geringsten ein emotionales und positives Gesamterlebnis voraus – noch führt es zwingend dazu.

Differenzierte Benutzerführung = verbesserte Zugänglichkeit

Trotzdem, wer ernsthaft zugängliche Websites, Online-Shops oder mobile Anwendungen gestalten will, kommt an einem nutzerzentrierten Vorgehen nicht vorbei. Barrierefreiheit beschränkt sich nicht auf technische Bedienbarkeit – sie umfasst auch die inhaltliche Verständlichkeit, die Orientierung innerhalb der Seite und die Möglichkeit, Aufgaben effizient zu lösen. Ein zentraler Aspekt dabei ist die Navigation. Ihre Gestaltung entscheidet darüber, ob Menschen sich auf einer Seite zurechtfinden, ihre Ziele erreichen oder frustriert abspringen. Gerade Menschen mit kognitiven Einschränkungen, neurodiversen Denkmustern oder schlicht wenig Zeit profitieren davon, wenn Informationen über unterschiedliche Wege erreichbar sind. Auch die WCAG enthalten dahingehende Anforderungen, um die Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungsarten zu bedienen – zum Beispiel durch eine zusätzliche Suchfunktion oder Sitemap.

Verständnis unterschiedlicher Strategien und Erwartungen

Nicht alle Menschen bewegen sich gleich durch eine Website oder mobile Anwendung. Je nach Motivation, Erwartung und Vorerfahrung unterscheiden sich Navigations- und Erschließungsstrategien deutlich. Für eine zugängliche und benutzerzentrierte Informationsarchitektur ist es entscheidend, diese Unterschiede zu erkennen und die Benutzerführung gezielt darauf abzustimmen. Die folgende Übersicht zeigt fünf typische Nutzungsmuster, die bei der Planung von Navigation und Zugängen berücksichtigt werden sollten.

  1. Suchende
    • Motivation: Wollen schnell ein konkretes Ziel erreichen
    • Verhalten: Nutzen gezielt die Suche oder direkte Navigationselemente
  2. Entdecker
    • Motivation: Wollen sich inspirieren lassen oder ein erstes Bild gewinnen
    • Verhalten: Scrollen durch Seiten, klicken sich durch Kategorien und Themenwelten
  3. Vergleicher
    • Motivation: Wägen verschiedene Optionen sorgfältig ab
    • Verhalten: Öffnen mehrere Tabs, lesen viele Inhalte und vergleichen Details
  4. Unentschlossene
    • Motivation: Brauchen Orientierung, Vertrauen und unterstützenden Kontext
    • Verhalten: Zögern bei Entscheidungen, springen zwischen Seiten, brechen schneller ab
  5. Wiederkehrer
    • Motivation: Haben ein klares Ziel und kennen die Seite bereits
    • Verhalten: Navigieren direkt zu bekannten Inhalten, erwarten schnelle Wege zum Gewohnten

Benutzerinnen und Benutzer, die ein klares Ziel verfolgen, kommen mit einer konkreten Absicht auf eine Website – etwa um ein bestimmtes Produkt zu finden oder eine spezifische Information zu recherchieren. Für sie ist eine direkte, klar benannte Hauptnavigation wichtig. Unklare Begriffe, verschachtelte Menüs oder visuelle Ablenkungen wirken kontraproduktiv.

Andere bewegen sich eher explorativ. Sie haben kein klares Ziel, sondern lassen sich treiben und inspirieren oder möchten sich einfach erstmal ein Bild machen. Diese Gruppe profitiert von visuellen Teasern und kuratierten Themenwelten, die einen sortierten Zugang und vor allem Orientierung durch sinnvolle Clusterbildung bieten.

Dann gibt es Menschen, die vergleichen. Sie springen zwischen mehreren Angeboten hin und her, prüfen Details, wägen ab. Für sie ist es hilfreich, wenn Inhalte konsistent strukturiert sind, wenn Informationen übersichtlich und transparent dargestellt sind – und wenn sie angepasst werden können, zum Beispiel durch Filter, Sortiermöglichkeiten oder Vergleichsfunktionen.

Ein weiterer Typus sind die Unentschlossenen. Sie sind zögerlich, haben vielleicht wenig Vorwissen oder fühlen sich unsicher. Diese Gruppe braucht klare Hinweise, verständliche Sprache, Orientierungshilfen und an den richtigen Stellen unterstützenden Kontext – etwa durch Tooltips, erklärende Texte oder thematisch passende Querverlinkungen.

Und schließlich gibt es wiederkehrende Benutzerinnen und Benutzer. Sie kennen Ihr Angebot bereits und wollen vor allem eines: schnell zurück zu den bekannten Inhalten. Diese Gruppe schätzt feste Navigationspunkte, konsistente Strukturen und eine Suchfunktion, die verlässlich funktioniert – nicht als letzter Ausweg, sondern als erster Zugang.

Wer Navigation gestalten will, die diesen unterschiedlichen Strategien gerecht wird, braucht ein klares Bild davon, wie sich Menschen Inhalte erschließen – und warum. UX-Design, das diese Vielfalt antizipiert, bietet gezielte Pfade an, statt alle über dieselbe undifferenzierte Navigationsstruktur zu schicken. Und an dieser Stelle wird es auch für die Barrierefreiheit interessant. Nicht aus Sicht der gesetzlichen Mindestanforderung, sondern aus der Sicht von Menschen mit unterschiedlichen Erschließungsstrategien.

Navigation ist nicht gleich Navigation

Navigation wird oft mit dem (Hamburger)-Menü gleichgesetzt. Aber das Menü einer Website oder einer mobilen Anwendung ist nur eine Möglichkeit der Erschließung – und längst nicht für alle die geeignetste. Eine zeitgemäße, zugängliche Navigationsarchitektur berücksichtigt vielfältige Zugangswege und bietet gezielt Alternativen zur klassischen Hauptnavigation.

Dazu zählen etwa Teaser-Boxen, die Inhalte thematisch vorsortieren, visuell aufbereiten und intuitiv erfassbar machen. Solche Boxen sind mehr als hübsche Gestaltungselemente – sie ermöglichen thematische Clusterbildung und helfen insbesondere explorativen Nutzern beim Einstieg. Wichtig ist dabei: clustern, was zusammengehört – und nicht zusammenführen, was nur aus interner Sicht verwandt zu sein scheint. Eine bunte Sammlung von Inhalten in vermeintlich logischen Kategorien führt eher zu Frust und ist keine Hilfe.

Kuratierte Quicklinks oder Empfehlungsbereiche wie „Das könnte Sie auch interessieren“ bieten zusätzliche Einstiegshilfen, die nicht-linear funktionieren und sich im Idealfall an häufig gesuchten Inhalten orientieren. Gerade für Unentschlossene oder Wiederkehrer kann das eine wertvolle Unterstützung sein – vorausgesetzt, die Inhalte dahinter sind aktuell und im Kontext relevant.

Ein weiteres zentrales Element ist die Suchfunktion – nicht als Notlösung, sondern als gleichwertiger Zugang. Eine gute Suchfunktion muss nicht nur leicht auffindbar, intuitiv nutzbar und fehlertolerant sein, sondern auch funktional überzeugen: „Find as you type“, also eine dynamische Vorschlagsanzeige beim Eintippen, hilft nicht nur Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Suchtreffer sollten dabei thematisch vorsortiert werden, z. B. in Produkte, Ratgeber, Services, etc. Weitere Filterfunktionen auf der Suchergebnisseite können die User Experience zusätzlich verbessern.

Screenshot der Startseite von der Stadt Moers

Auch die Gestaltung spielt eine wichtige Rolle für ein gut funktionierendes Navigationskonzept – unabhängig von der Technik und der sprachlichen Klarheit. Größe, Position, Farbe und Helligkeitskontrast steuern die Blickführung und geben Aufschluss über Relevanz. Es lohnt sich daher, Inhalte bewusst in A-, B- und C-Bereiche zu priorisieren: Was ist zentral und muss sofort ins Auge springen (A)? Was ist wichtig, aber nicht vordergründig entscheidungsrelevant (B)? Und was darf nachgelagert, aber trotzdem erreichbar sein (C)? Diese Priorisierung sollte sich nicht nur in der visuellen Gestaltung widerspiegeln, sondern auch im semantischen Aufbau – Stichwort: Überschriften, Landmarks, Beschriftungen, sinnvolle Code-Reihenfolge.

Piktogramme oder Icons können die Navigation ebenfalls unterstützen – wenn sie sparsam und im Kontext sinnvoll eingesetzt werden. Ein gut gewähltes Icon kann Inhalte schneller erfassbar machen, gerade für Menschen mit eingeschränkter Lesefähigkeit. Icons sollten zusätzlich mit einer sichtbaren Beschriftung versehen sein. Und sie sollten gebräuchlich und eindeutig sein, wie beispielsweise ein stilisiertes Zahnrad für Einstellungen.

Besonders wichtig ist die sprachliche Benennung von Navigationspunkten. Begrifflichkeiten wie „Unsere Welt“ oder „360° erleben“ mögen intern stimmig erscheinen, sind für Außenstehende aber ggf. wenig greifbar. Stattdessen sollte auf Begriffe gesetzt werden, die im Wortschatz der Zielgruppe vorkommen – präzise und funktional im Kontext und ohne Marketingsprech. Das gilt auch für Clusterüberschriften und Teasertexte: Wer Orientierung bieten will, muss für klare Beschriftungen sorgen.

Navigation bedeutet Benutzerführung. Das gilt insbesondere für grundlegende Informationen, wie Kontaktmöglichkeiten, Telefonnummern, Öffnungszeiten oder Notfallnummern. Diese müssen leicht auffindbar und gut sichtbar sein – am besten dort, wo sie erwartet werden. Und zwar nicht nur in der Desktop-Ansicht, sondern auch auf mobilen Endgeräten.  

Fazit

Barrierefreiheit, Usability und UX-Design sind eng miteinander verbunden – aber keineswegs deckungsgleich. Während die WCAG technische Mindeststandards für die Zugänglichkeit definieren, zielt UX-Design auf Erleben, Kontext und Verhalten ab. Wer digitale Produkte wirklich zugänglich gestalten möchte, muss diese Perspektiven zusammen denken.

Navigation spielt dabei eine Schlüsselrolle. Sie ist nicht nur strukturelles Rückgrat, sondern kognitive Leitplanke. Nur wenn unterschiedliche Nutzungsmotive und Erschließungsstrategien von Anfang an berücksichtigt werden, entsteht eine Informationsarchitektur, die für alle Menschen gut funktioniert – unabhängig von individuellen Vorerfahrung, Vorlieben und Fähigkeiten.

Sinnvolle Cluster, verständliche Begriffe, visuelle Orientierung, alternative Zugänge und eine durchdachte Priorisierung von Inhalten: erst wenn diese Faktoren zusammenwirken, kann Navigation die Barrierefreiheit unterstützen und UX zum verbindenden Element zwischen Technik, Inhalt und Nutzererwartung werden.

Schlagworte:
Digitale Barrierefreiheit
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Usability
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